Acque entstand auf Anregung von Bernd Wiesemann als Beitrag für forum 20 (einem auf insgesamt zehn Jahre verteilten Überblick auf die Musik des 20. Jahrhunderts, mit Schwerpunkt auf der Musikszene in Düsseldorf), für das Konzert mit Uraufführungen 1999 (das Jahr, das den 80er Jahren gewidmet war). Die Kompositionsaufträge wurden durch die Brügmann-Stiftung gefördert. 2000 wurde im Rahmen der abschließenden Zusammenfassung der Konzertreihe forum 20 eine leicht revidierte Fassung aufgeführt.
Wasser, Gewässer: Elementares und von der Haut aufgesogenes, den eintauchenden Körper dicht umschließendes Fremdes: Nass, weich, kühl.
Quasimodos Landschaft entsteht aus der Betrachtung eines realen Ortes und spiegelt in dieser Betrachtung die existentielle Befindlichkeit des Subjektes. Sie ist, wie der Dichter es ausdrückte: "weder mythologisch, noch parnassisch". Die Landschaft ist also keine Metapher, nicht imaginiert, sie ist Umgebung: ein Äußeres, in dem sich der Dichter wiedererkennt.
Einsamkeit bestimmt Quasimodos Gedichte – zumindest die von mir ausgewählten – sie gehen von ihr aus und kehren in sie zurück. Trotz ihres monologischen Charakters ist zwar ihre Rede unmittelbar und direkt, aber das lyrische Subjekt gelangt kaum aus seiner Betrachtung der Welt, dem nach Innen genommenen Außen, aus dem Inneren heraus zu einem anderen Menschen. Es ist das Wasser, das zum Du wird.
Für den Abschluss des Zyklus suchte ich deshalb nach einem Text, der über die Reflektion des Ichs über sich selbst hinausweist. Unter vielen Alternativen entschied ich mich schließlich für das Gedicht Del mio odore di uomo (Von meinem menschlichen Geruch). Es drückt für mich vor allem das scheinbare Paradoxon der Annahme von Verschiedenartigkeit, die sogar Abscheu einschließt, und der Sehnsucht nach Aufhebung (nicht Nivellierung) der Widersprüche aus. Das ist wohl eher existenzialistisch als dialektisch – aber zumindest in meiner Interpretation durchaus auch utopisch zu verstehen.
Bewusste Divergenz bestimmt die Besetzung, was auch den weitgehenden Verzicht auf klangliche Vermittlung durch die zugespielten elektronischen Klänge einschließend bedingt. Beziehungen und Ähnlichkeiten kommen weniger in den Klangfarben als in Strukturen zum Vorschein: So werden etwa Eigenschaften und Erscheinungen von Wasser in musikalische – texturale und kybernetische – Modelle übertragen, die nicht Klangerzeugungen von Wasser imitieren, die sich vielmehr an Wasser assoziieren, vor allem an Bewegungen von Wasser.
Amplitudenverlauf in acht Frequenzbereichen des gesprochenen Wortes ciottoli [tʃɔt-toli] |
Die Zuspielung ist aus drei verschiedenen Arten von Material gefügt: Weißes und farbiges Rauschen – eine elementare Schwingungsform, die mit dem Computer unmittelbar generiert werden kann; die Harmonischen von fünf virtuellen, sehr tiefen in Quinten gestimmten "leeren Saiten", mit Frequenzen, die bis an die Hörgrenze reichen – gewissermaßen ein verbogener Spiegel der Violine; Ausschnitte aus Aufnahmen von Rezitationen der Gedichte im italienischen Original, die durch Analyse und modifizierte Resynthese auch das übrige Material gestalten.
Das im Innenraum gespielte Klavier ist Raum und Körper an sich. Es bildet zusammen mit der Zuspielung die klangliche Umgebung, in der sich die Violine bewegt.
Präparation der tiefsten Bass-Saiten des Klaviers |
Bilder der Gedichte finden sich in den übergeordneten Verläufen ebenso wie in akustisch mikroskopischen Details wieder – weniger als Illustration als vielmehr als von Quasimodos Gedichten ausgehender Klangrede, aus der gewissermaßen objektive Gebilde entstehen, in denen der Hörer seine eigene "Landschaft" wiedererkennen oder entdecken mag.
(Einführungstext von 1999, revidiert 2000 und 2009)